18. Oktober 2025

Die Nicht-Verlängerung – was nun?

Der Oktober kann ein wundervoller Monat sein

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 – die Tage sind oft noch angenehm warm, der Herbst malt schöne Farben, es gibt leckeres Essen, und dann ist noch Halloween – wenn dann aber eine Einladung zum Gespräch mit der Intendanz ins Haus flattert, flattern auch die Nerven: droht mir die Nicht-Verlängerung?

Kann schon sein – du wärst nicht die/der Erste, dem das blüht. Durchatmen! Auch wenn du nicht verlängert wirst, gilt diese Nicht-Verlängerung erst zum Ender der eben begonnenen Spielzeit, und danach kannst du für ein Jahr Arbeitslosengeld beantragen, du hast also fast zwei Jahre Zeit, dich neu zu sortieren. Trotzdem keine schöne Situation!

Rechtlich sieht die Sache folgendermaßen aus (Quelle: GDBA)

Im Oktober stehen für viele Kolleg:innen Anhörungsgespräche und Nichtverlängerungen an.

Arbeitsverträge nach NV Bühne, sind in der Regel jeweils für ein Jahr befristet. Sie verlängern sich automatisch um je eine weitere Spielzeit, wenn nicht rechtzeitig eine der Vertragsparteien eine Nichtverlängerungsmitteilung ausspricht.

Welche Fristen gelten für die Nichtverlängerung?

Die Nichtverlängerungsmitteilung zum Spielzeitende muss bis zum 31. Oktober des Vorjahres ausgesprochen worden sein. Wenn ein:e Arbeitnehmer:in schon länger als acht Spielzeiten an einem Theater ist, schon bis zum 31. Juli – Achtung: es gilt der Tag, zu dem das Schreiben im Briefkasten liegt, unabhängig von tatsächlicher Kenntnisnahme.

Bevor die Arbeitgeberseite eine Nichtverlängerungsmitteilung aussprechen kann, muss sie den/die Arbeitnehmer:in spätestens zwei Wochen vorher anhören – im sogenannten Anhörungsgespräch. Zu diesem muss wiederum spätestens fünf Werktage vorher schriftlich eingeladen werden.

Die Gesellschaft deutscher Bühnen Angehöriger empfiehlt, nie alleine zum Anhörungsgespräch zu gehen:

Es ist erlaubt, eine:n Arbeitskolleg:in und/oder eine:n GDBA-Funktionär:in zum Anhörungsgespräch mitzunehmen. Dies ist auch unbedingt zu empfehlen. Die Begleitpersonen müssen schriftlich gegenüber dem Arbeitgeber angekündigt werden. Die Begleitperson sollte ein möglichst akribisches Protokoll über das Anhörungsgespräch erstellen, in dem die anwesenden Personen und die von der Arbeitgeberseite dargelegten Gründe für die Nichtverlängerungsmitteilung festgehalten werden. Nicht ganz selten können im Anhörungsgespräch mit der Arbeitgeberseite auch konstruktiv Möglichkeiten für einen weiteren Verbleib des/der Arbeitnehmer:in an der Bühne besprochen werden.

Gegen eine Nicht-Verlängerung zu klagen, ist wenig aussichtsreich – wer möchte schon an einem Haus arbeiten, in dem man eigentlich nicht mehr erwünscht ist?

Aber die GDBA empfiehlt auch, sich an sie zu wenden, sobald die Einladung zum Gespräch da ist. Du bist in der GDBA, nicht wahr?!?!

Wenn ihr eine Einladung zum Anhörungsgespräch erhalten habt, wendet euch sofort an die/den Vorsitzende:n eures GDBA Lokalverbands. Wenn weitere Fragen zu Anhörungsgespräch und Nichtverlängerungsmitteilung bestehen, auch gerne direkt an die Rechtsabteilung der GDBA. Wir werden den Fall dann individuell beraten.

Wichtig ist, dass das Theater dir die Nicht-Verlängerung schriftlich bestätigt, damit du Arbeitslosengeld bekommst. Selbst zu kündigen, um einer Kündigung vorauszugreifen, ist sehr unklug.

Von den rechtlichen Möglichkeiten einmal abgesehen, ist so eine Nicht-Verlängerung ein Schlag in die Magengrube und ein Dämpfer für das fragile Selbstbewusstsein. Sie kommt vielleicht, wenn man sich schon sehr gut an ein Haus gewöhnt hat, an die Stadt, die Menschen. Manchmal kommt die Nicht-Verlängerung genau vor dem Zeitpunkt, an dem man unkündbar würde. (das wird man nach 14 Jahren Zugehörigkeit zum selben Haus). Oft haben Sänger:innen dann jahrelang nicht mehr vorgesungen, sich dem Konkurrenzgedanken gar nicht mehr ausgesetzt. Der Gedanke, sich wieder komplett neu zu erfinden, ist nicht besonders attraktiv, und wer schulpflichtige Kinder hat, für den mögen die Hürden unüberwindbar scheinen.

Es ist müßig, darüber zu lamentieren, wie unmöglich dieser Beruf ist, wie unsicher, wie belastend – solange wir das System nicht ändern können, müssen wir uns mit ihm arrangieren.

Was kannst du jetzt tun?

Lass es erst einmal sacken und schlaf drüber, einatmen, ausatmen, einatmen, ausatmen, und dann überlege mit deinem Partner/deiner Partnerin oder jemandem deines Vertrauens, für welche Option du dich entscheiden möchtest:

Du kannst an einem anderen/größeren Haus für eine Ensemblestelle vorsingen oder dich auf den freien Markt werfen. Dafür brauchst du gute Nerven und jedes Jahr mindestens 3-4 Produktionen, damit du überleben kannst. Das Problem heutzutage ist, dass, bis auf ein paar Häuser, viele Häuser Serien mit weniger Vorstellungen spielen, die Probezeiten aber gleichgeblieben sind, d.h., wenn du im nicht deutschsprachigen Raum unterwegs bist und kein Proben-/Wohnungsgeld bekommst, dir am Ende weniger bleibt als früher. Waren es vor 10 Jahren noch 7 oder 8 Vorstellungen in einer Produktion, so sind es heute oft nur noch 5 oder 6.

Du hast jetzt, wie oben gesagt, zwei Jahre Zeit, und, ja, du musst wieder dein Vorsinge-Päckchen schnüren. Aber diesmal hast du schon ein paar oder auch ein paar Jahre mehr Berufserfahrung, das bedeutet, du musst jetzt für ein Vorsingen nicht mehr alle Epochen bedienen, sondern „nur“ das als Video aufnehmen (!), was dein Kern-Repertoire ausmacht. Für neue Engagements braucht man leider auch neue Aufnahmen und man muss wieder vorsingen – Trag es mit Fassung – du bist in bester Gesellschaft.

Du möchtest höhere Gagen verhandeln (lassen), d.h. dass dein Repertoire spezialisierter sein sollte, die Rollen größer und etwas dramatischer als in deinen ersten Jahren, damit sich wieder jemand frisch für dich als Künstler:in interessiert, vor allem, wenn du viele Jahre in einem einzigen Opernhaus „abgetaucht“ warst. Berate dich mit jemandem, der deine Stimme und deine Möglichkeiten gut kennt und dir helfen kann, ein Repertoire zusammenzustellen, das deine Entwicklung zeigt.

Überlege, wer in den letzten Jahren deine Weggefährten waren und nimm Kontakt auf, informiere diese Leute darüber, dass du ab dem und dem Datum frei bzw. freischaffend sein wirst.

Abschließend möchte ich dir meine eigene Nicht-Verlängerung-Geschichte erzählen.

Ich war nach 3 Jahren in Freiburg in meiner ersten Baseler Spielzeit und bekam 3 Wochen nach Probenbeginn ein Hämatom auf meinem rechten Stimmband (Husten unterdrückt, sollte man keinesfalls machen!). Danach musste ich drei Wochen schweigen, konnte langsam wieder anfangen, aber das Blutgefäß war so zerbrechlich geworden, dass es immer wieder aufplatzte, ob ich sang oder nicht und gerne auch mal kurz vor der Vorstellung (glücklicherweise war die Kollegin zu Hause und konnte einspringen). Mein wunderbarer Arzt versuchte alles, um eine OP zu umgehen, aber nach einem Jahr Auf und Ab mit mindestens 7 solcher Episoden entschlossen wir, die Operation bei einem Spezialisten durchführen zu lassen, dem ich bis heute dankbar bin. Ich war unfassbar nervös und hatte schon überlegt, was die Alternative sein könnte, wenn die Stimme nicht wiederkäme (ein Restaurant eröffnen!). Aber alles ging gut, 10 Tage nach der OP durfte ich vorsichtig wieder anfangen zu üben, und seitdem war/ist Ruhe. In dem Moment, in dem ich die Ankündigung meiner Nicht-Verlängerung in Händen hielt, war ich kurz vor einer OP, hatte ein einjähriges Kind und war die Alleinverdienerin der Familie. Ich habe es überlebt – und du wirst es auch überleben! Nimm es als Chance für einen, wenn auch ungeplanten, Neu-Anfang, den du ansonsten weiter hinausgezögert hättest.

Wenn du schon immer etwas anderes machen wolltest, wäre jetzt eine gute Gelegenheit das anzudenken oder sogar anzugehen.

Wichtig ist, dass man im Festengagement nicht aufhört zu üben, sich regelmäßig kontrollieren lässt und die Qualität erhält (dazu gibt es hier einen Blog-Beitrag). Dann kann es auch nach einer Nicht-Verlängerung woanders oder ganz anders weitergehen.

In diesem Sinne: Trag es mit Fassung und verliere nicht den Mut!

Bis bald auf diesem Kanal,

Hedwig

PS vielleicht magst du auch den Artikel „Wie fest ist fest?“ noch lesen?

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hedwig fassbender
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