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Manchmal gibt es erstaunlich gute Sänger und Sängerinnen, die nach ein paar Jahren im Job erstaunlich schlecht klingen, auch wenn sie nicht zu früh zu schweres Repertoire gesungen haben. Was ist der Grund?
Die eigene Qualität zu halten ist DIE große Herausforderung unseres Berufs. Und wir sind in allererster Linie selbst dafür verantwortlich, dass wir im täglichen Theaterzirkus nicht „verkommen“.
Die Ohren sitzen fest am Resonanzraum, d.h. man kann sich nur sehr bedingt selbst hören. Der tägliche Theaterbetrieb verleitet sehr dazu, sich nicht mehr einzusingen, keine technischen Übungen mehr zu machen (nö, das ist nicht dasselbe!) und nach und nach zu denken, dass man mit weniger Anspruch auch noch ganz gut durchkommt. Hinzu kommt: Wir haben es mit lebendigem Material zu tun. Manches Mal, wenn ich dachte, ich hätte meine Stimme endlich „verstanden“, wachte ich am nächsten Morgen auf und dachte beim ersten Summen: „euch beide kenne ich nicht“.
Wer nicht sorgfältig mit seiner Stimme und sich selbst umgeht, geht unter!
Während des Studiums haben wir regelmäßig mindestens zweimal die Woche einen Unterricht beim Hauptfachlehrer bzw. bei der Hauptfachlehrerin, wir sind in ständigem Austausch mit der (hoffentlich!) Person unseres gesangstechnischen Vertrauens. Und vielleicht besuchen wir nebenher noch hilfreiche Meisterkurse.
Wenn wir anschließend in einem Opernstudio arbeiten, heißt die Aufgabe, aus der Fülle der technischen Anleitungen durch verschiedene Personen die herauszufiltern, die uns guttun und die anderen zu lassen – nicht einfach, aber es hilft dabei, die eigenen technischen Parameter zu definieren.
Mit dem Eintritt in ein Ensemble oder in die freiberufliche Laufbahn ist die Zeit vorbei, in der die gesangstechnische Arbeit von der Institution organisiert (und bezahlt) wird. Als Ensemblemitglied habe ich den Luxus Korrepetitionsstunden nicht selber zahlen zu müssen, aber manchmal vergessen wir Sänger:innen, dass Korrepetitor:innen in der Regel am Klavier und nicht gesangstechnisch ausgebildet wurden. Es ist nicht die Aufgabe der Korrepetitor:innen uns gesangstechnisch aus der Bredouille zu helfen. Sie sind unsere wichtigsten Partner und sollen/müssen uns darauf hinweisen, wenn etwas seltsam klingt, wenn die Stimme anfängt zu wackeln, die Intonation instabil oder die Stimme unausgeglichen ist. ABER sie sind keine gesangspädagogischen Fachleute. Ihr Job ist es, unsere musikalischen Fähigkeiten zu perfektionieren und möglichst auch unsere Aussprache in den verschiedenen Sprachen zu verbessern.
Was kannst du tun, um deine Qualität zu halten und zu steigern?
- Sei ehrlich zu dir selbst: wenn etwas sich nicht gut anfühlt, klingt es in der Regel auch nicht gut – selbst wenn niemand vom Haus dir gegenüber eine Bemerkung macht.
- Check bereits vor der ersten Korrepetitionsstunde, ob alles so ausgeführt ist wie im Notentext vermerkt und warte nicht, dass jemand die Fehler findet. (Aussprache / Dynamik / Phrasierung / Artikulation)
- Sing dich ein vor der Probe (sic!)
- Übe einmal die Woche ein technisches „Dings“ wie chromatische Tonleitern, messa di voce, Triller, verminderte Akkorde, Geläufigkeit…
- Schaue ein, zwei Tage vor der nächsten Vorstellung die Partie nochmals daraufhin durch , ob du etwas verbessern kannst (eine schönere Phrasierung, weniger (oder öfter) atmen, eine Seite nacharbeiten, die in der letzten Vorstellung nicht optimal war – es gibt immer etwas zu tun)
- Bitte die Korrepetitorin/den Korrepetitor deines Vertrauens darum dir zu sagen, wenn etwas nicht ok klingt – und sei nicht beleidigt, wenn du eine ehrliche Antwort bekommst;)
- Nimm deine Orchesterproben auf und höre die Aufnahme kritisch an und/oder schick sie der Person deines Vertrauens. Ein Aufsteckmikro am Telefon reicht zur Kontrolle.
- Wenn dein Partner/deine Partnerin Musiker:in ist, bitte um ehrliches feedback. (manchmal macht Liebe allerdings nicht nur blind, sondern auch taub;)
- Fahre ein paarmal im Jahr zur Kontrolle zu jemandem, der deine Stimme kennt und dem du vertraust. Wir brauchen gesangstechnische Kontrolle, bis wir aufhören zu singen!
- Frag dich ab und zu, ob dein Repertoire noch „stimmt“. Hier können dir ein erfahrener Korrepetitor oder eine erfahrene Korrepetitorin in Zusammenarbeit mit deiner „Gesangsperson“ sicher gute Ratschläge geben.
Wir haben einen anspruchsvollen Beruf gewählt, der mindestens sechs Jahre Studium braucht. Aber wenn es ein Beruf bleiben soll, den wir Jahrzehnte lang ausüben, müssen wir, wie andere Berufsgruppen auch, weiter investieren und sorgsam sein!
Alles Gute dabei!
Bis bald,
hedwig
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