21. November 2025

Opernstudio – die ersten Monate

Du bist neu in einem Opernstudio und fühlst dich allmählich angekommen? Glückwunsch! Zeit für eine erste Bestandsaufnahme:

The English version is here

Seit etwa 10 Jahren unterrichte ich regelmäßig in Opernstudios und erlebe die Verwirrung der singenden und spielenden jungen Musiker:innen in den ersten Monaten.

Mach dir keine Sorgen – das ist ganz normal!

Während der Zeit an der Hochschule hattest du dein festes Team an Lehrpersonen um dich, Menschen, denen du vertrauen konntest und die dich und deine Stärken und Schwächen gut kannten. Jetzt bewegst du dich zwischen deiner Selbstwahrnehmung und mehr oder weniger neuen Dozenten und Dozentinnen, die im Idealfall in die gleiche Richtung arbeiten, schlimmstenfalls aber konträre technische Ansichten vertreten. Was kannst du jetzt tun?

Opernstudio-Mitglieder sind keine Studierenden!

Man hat dich ins Opernstudio aufgenommen, weil du gut singst, niemand sollte dir gegenüber behaupten, dass du jetzt von 0 anfangen musst. Es gibt sicher noch Dinge zu verbessern, die Stimme ist lebendiges Material und immer in Bewegung, aber du kannst etwas, sonst hätte man dich nicht ausgesucht. Studio heißt nicht Studium – manche Dozent:innen finden das schwierig zu verstehen; sobald dich jemand behandelt, als seist du noch im Studium, ist Vorsicht geboten!

Viele Köche…

Du hattest jetzt wahrscheinlich Zeit, alle Lehrenden kennenzulernen. Wenn du bei jemandem das Gefühl hast, dass

  • du Halsweh bekommst
  • du heiser wirst
  • du dich nicht ernstgenommen fühlst
  • du dich sehr unwohl fühlst

kannst du die Leitung bitten, dich bei dieser Person nicht mehr einzuteilen. In den allermeisten Fällen wird man deinen Wunsch respektieren. Du solltest allen Lehrenden eine Chance geben, aber wenn sich nach zwei Stunden alles immer noch falsch anfühlt, dann zögere nicht, zur Leitung zu gehen und dich aus diesem Unterricht herauszulassen.

Definiere deine Gesangstechnik

Wenn du hingegen das Gefühl hast, dass du dir während der Zeit an der Hochschule keine belastbare und abrufbare Technik aneignen konntest und es trotzdem ins Studio geschafft hast (Glück gehabt;)), wäre jetzt ein guter Moment, dir die fehlenden Infos von einem/einer der Personen im Studio abzuholen, denn: spätestens jetzt ist an der Zeit, deine Technik genau zu definieren:

  • Wie atmest du?
  • Was bedeutet appoggio für dich?
  • Wie gehst du in die Höhe?
  • Wie in die Tiefe?
  • Wie genau kommst du durchs Passaggio?

Je besser du für dich selbst definieren kannst, was du in den Momenten tust, in denen sich Singen wunderbar anfühlt, desto besser gewappnet bist du gegen Irrwege. Wenn dann der heikle Moment kommen sollte, in dem ein Korrepetitor/eine Korrepetitorin (also jemand, der nicht Gesang studiert hat und auch nicht Sänger:in ist) mit dir Gesangs-Übungen machen oder sich intensiv in deine Technik einbringen möchte, kannst du sagen „ich habe verstanden, was Sie meinen, ich werde das mit meinem Gesangslehrer besprechen“. Auch wenn dies in der allerbesten Absicht geschieht und in Ausnahmefällen sogar helfen kann: grundsätzlich solltest du deine technischen Probleme mit einem Sänger/einer Sängerin lösen. Wenn du zu den Pianist:innen im Opernstudio gehörst: gesangstechnische Hilfe gehört nicht zu deinem Aufgabengebiet. Es gibt so viel musikalische und sprachliche Arbeit zu erledigen! Natürlich solltest du deine Gesangskolleg:innen darauf hinweisen, wenn die Intonation nicht stimmt oder wenn etwas seltsam klingt – regeln müssen die das mit Gesangsmenschen, das ist nicht deine „Baustelle“. Die Opernstudios versuchen eine gute Bandbreite an Dozenten zu engagieren, um ihren Mitgliedern das Bestmögliche zu vermitteln, aber deine Selbstverantwortung ist immer gefordert – für deine technische Entwicklung kann nicht nur das Studio verantwortlich sein.

Halte Kontakt mit deinen Vertrauenspersonen

Ich würde immer empfehlen, mit den Personen, denen du im Studium vertraut hast, in Kontakt zu bleiben und technischen oder persönlichen Rat einzuholen. Gleichzeitig kann es sehr spannend sein, neue Impulse aufzunehmen und in deine vorhandene Technik zu integrieren. Aber es ist sicher nicht hilfreich, die Technik, die dir den Job am Opernstudio vermittelt hat, über Bord zu werfen, weil jemand denkt, er/sie weiß als einzige/r, wie „es“ geht und dich glauben lassen möchte, alles, was du machst, sei falsch. Zu erkennen, wann ein Impuls in die falsche Richtung geht, das lernt man mit der Zeit. Es ist auf jeden Fall ein gutes Maß an Vorsicht geboten und ein gutes Gespür für deinen eigenen Körper.

Zeit für dich

Was du auf jeden Fall brauchst, ist Zeit für dich, in der du die neuen Impulse in deine Sprache (das bedeutet Muttersprache und deine „Techniksprache“) übersetzt. Am besten nimmst du dir jede Woche einen ruhigen Moment (manchmal muss man dafür früh aufstehen;)) und schreibst deine Gedanken auf.

Wenig Geld für viel Arbeit?

Lass dir bitte nicht einreden, man würde dich als Studiomitglied nur ausnutzen und dir dafür fast nichts zahlen! Diese Einstellung macht schlechte Laune, und das ist das Letzte, was du jetzt brauchen kannst! Denk lieber, dass du noch lernen und netzwerken kannst, ohne dafür zu bezahlen und gleichzeitig auf einer „richtigen“ Bühne echte Erfahrung sammeln kannst, oft mit großartigen Personen zusammen singst, die schon viele Karrierejahre hinter sich haben. Du wirst dabei auch Menschen erleben, die nicht gut auf sich selbst aufgepasst haben und schon früh älter klingen als sie sind oder schon mit Mitte 40 Probleme haben; auch davon kann man lernen. Wenn du mit „Vorbildern“ zusammenarbeitest, bitte sie um Rat, vielleicht um ein kleines Vorsingen und ihre Meinung oder um eine Arbeitseinheit.

Nutze deine Zeit!

Du kannst alle Stücke am Theater anschauen; wenn du im Mehrspartenhaus bist, dann geh auch ins Schauspiel, ins Tanztheater oder in die Kinderstücke. Oft gibt es „outside the box“ hervorragende Inspirationen für das eigene Bühnenleben. Wenn möglich, fahre mit deinen Kolleg:innen an andere Häuser und seht euch dort Sachen an.

Solange du im Studio bist, kannst du Räume und Instrumente für Aufnahmen nutzen, die du später teuer bezahlen musst. Auch deine Studio-Pianist:innen werden dir bei den Aufnahmen helfen (und für die Pianist:innen gilt umgekehrt das gleiche). Für den „richtigen“ Job nach dem Studio und für die Suche nach einer Agentur brauchst du unbedingt 3 gute Videos in verschiedenen Sprachen und aus verschiedenen Epochen, fange bald damit an.

Nütze die Zeit am Studio auch für den Aufbau eines Netzwerks aus Dozent:innen, Korrepetitor:innen, Kolleg:innen, Dirigent:innen, Regisseur:innen und Menschen im KBB – vielen wirst du wahrscheinlich im Laufe deiner Karriere wieder begegnen, und es ist gut zu wissen, dass man nicht alleine ist in der oftmals verwirrenden Opernwelt.

Have a life!

Das Leben besteht nicht nur aus Theater und Gesangstechnik – versuche ein Leben neben dem Theater zu haben; lade nette Menschen zu dir ein – auch bei Nudeln mit Tomatensauce kann man viel lachen und einen schönen Abend verbringen! Organisiere Picknicks, trefft euch zum Kino, zum Museum, zum Sport….

Mach das meiste aus deiner Zeit am Studio – sie geht schneller vorbei, als du im Moment vielleicht denkst!

Vielleicht magst du ergänzend noch den Artikel hier lesen: Wie erhalte ich meine Qualität?

Alles Gute für dich!

Hedwig

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