Eine der großen Herausforderungen in unserem Beruf: die Energie in den letzten zwei Probenwochen intelligent aufzuteilen.
In den letzten zwei Wochen vor der Premiere häufen sich die „dicken“ Proben:
- 1-2 Orchester-Sitzprobe (Italiana)
- 4-6 Bühnen-Orchester-Proben
- 1 Klavier-Haupt-Probe
- 1 Orchester-Hauptprobe
- 1 Generalprobe
Das heißt, du hast 9-11 Möglichkeiten, deine Stimme zu verlieren;)
Wenn du eine kleine bis mittelgroße Rolle zu singen hast, wirst du diese Zeit wahrscheinlich problemlos überstehen, aber sobald du die Chance bekommst, anspruchsvollere Rollen zu singen, wird die Frage „Wie werde ich es jemals zur Premiere schaffen?“ immer drängender.
Nebenbei bemerkt: Mozart zu singen kann genauso anstrengend sein wie Wagner oder Verdi!
Schauen wir uns an, was uns müde macht:
- – zu viel Singen
- – zu viel Reden
- – zu wenig Schlaf
- – nicht genug Essen
- – nicht genug Wasser (!)
- – nicht genug Bewegung (!)
Wir, die Sängerinnen und Sänger, sind dafür verantwortlich, eine individuelle Routine zu entwickeln, die es uns ermöglicht, MIT Stimme an der Premiere anzukommen – niemand sonst kann das für uns tun!
Was können wir tun?
Dinge, die in dieser stressigen Zeit hilfreich sein können:
Ein Abendritual
Entwickle ein kleines Abendritual, das zu dir passt; einige der folgenden Dinge könnten helfen:
– Erlaube der Stimme, sich zu beruhigen, bevor du das Theater verlässt – Summen oder leichte Messa-di-voce-Übungen (die, die wir schon während des Studiums gehasst haben), können helfen, deinen Stimm-Apparat wieder in den „Normalzustand“ zu versetzen.
– Vermeide kalte Getränke direkt nach dem Singen (auch wenn der Gedanke an ein kaltes Bier sehr verlockend klingen mag.)
– Sprich nur das Minimum – wir sind viel geschickter im Singen als im Sprechen!
– Mach einen kleinen Spaziergang, um frische Luft zu schnappen, wenn es draußen nicht zu kalt ist.
– Geh so früh wie möglich nach Hause und gönne dir einen ruhigen Moment.
– Wenn du kranke Kinder zu Hause hast – trage beim Kuscheln eine Maske; meine Erfahrung als Mama und Oma ist, dass sie das nicht schlimm finden, Hauptsache der Körperkontakt ist da. Du kannst jetzt wirklich keine Kindergarten-/Schulbakterien/-Viren gebrauchen!
– Lies nicht zu viel über die fabelhaften Leistungen anderer Sänger/innen in den sozialen Medien – wir alle wissen, dass fast niemand über die dunklen Seiten schreibt.
– Stell deinen Wecker auf 3 Stunden vor Probenbeginn und atme ein – aus – ein – aus – ein – aus…
Am nächsten Morgen – wieder eine BO…
Die nette Version:
Deine Stimme ist „noch frisch von gestern Abend“. Wenn das der Fall ist, sei froh darüber! Mache dich vor oder nach dem Frühstück ein bisschen warm. Freue dich darauf, deine Kollegen zu treffen, auch die vom Orchester und Chor. Auch für sie ist es noch früh, Freundlichkeit hilft allen.
Die nicht ganz so nette Version:
Du fühlst dich hundemüde und das Letzte, was du tun willst, ist, aufzustehen und zu singen?
– Kein Grund zur Panik! Es war gestern Abend noch da, also kann es nicht ganz weg sein. Die Stimmlippen sind normalerweise in Ordnung, nur alles drum herum schläft noch tief und fest.
– Versuche, deine Zunge 25-mal in jede Richtung zu drehen – beeindruckend, wie viel Schleim dabei freigesetzt wird!
– Steh auf und mach einen schnellen Spaziergang oder bewege dich in deiner Wohnung oder in deiner Garderobe – selbst auf der Stelle zu springen oder zu rennen ist besser, als nur in panische Schockstarre zu verfallen.
– Trinke einen Kaffee/Tee, singe dich 10 Minuten lang ein, trinke noch einen Kaffee/Tee, singe dich 10 Minuten lang ein, trinke noch einen Kaffee/Tee, singe dich 5 Minuten lang ein, trinke noch einen Kaffee/Tee…Irgendwann gibt deine Stimme den Widerstand auf und ist bereit wieder zu arbeiten:)
Wo können wir sparen und wann sollten wir aussingen?
ORCHESTER-SITZPROBE („Italiana“)
Wir treffen das Orchester zum ersten Mal, singen nur, spielen noch nicht. Und natürlich wollen wir dabei aussingen.
BÜHNEN-ORCHESTER-PROBEN (das sind die, die müde machen)
Diese Proben dienen dazu, das Gleichgewicht und die Koordination zwischen dem Orchester und der Bühne zu finden. Davon gibt es in kurzer Zeit eine ganze Menge.
Hier ist mein Vorschlag:
Mach dir einen Plan und entscheide, welche Probe du aussingen wirst und wann du die ganze Probe oder einen Teil davon markieren wirst. Vielleicht willst du die ersten beiden singen, es bei Nr. 3 ruhig angehen lassen und die letzten beiden singen; vielleicht singst du immer morgens und markierst abends oder umgekehrt… Was auch immer deine Strategie sein mag und solange sie mit dem Arbeitsprozess vereinbar ist: Halte dich daran!
Markieren oder aussingen? – Die ewige Frage…
es gibt einen extra Artikel dazu, link am Ende
Das Aussingen hat Vorteile für:
– Dich selbst: Du findest heraus, ob du es schaffst, die Rolle mit dem Orchester zu singen und ob es Koordinationsprobleme gibt, die du lösen musst. Außerdem macht es mehr Spaß als Markieren!
– Das Orchester: Es kann dich hören und sich an deinen Klang in dieser speziellen Rolle gewöhnen.
– Den/die Dirigent/in: Sie/er kann wirklich an der Balance zwischen dir und dem Orchester arbeiten
– Den Chor: Er kann die Sätze vor seinen Einsätzen hören.
– Deine Kolleg:innen: Die Körperspannung ist anders, wenn du singst.
Was kannst du tun, um deine Energie während der Orchesterproben zu sparen?
– Die erste Bühnenorchesterprobe: Mit Orchester zu singen ist ein anderes Gefühl als mit Klavierbegleitung zu singen. Die erste Bühnenorchesterprobe erfordert von allen Seiten Geduld, also entspann dich, es ist für alle schwierig.
– Du kannst einige hohe Töne weglassen und den Rest singen.
– Wenn eine Stelle während einer Probe mehrmals wiederholt wird, weil die Dinge im Orchester noch nicht geklärt sind, singe einmal aus und markiere die Wiederholungen.
– Markiere, d.h. singe leise „in tono“ oder singe eine Oktave tiefer.
– Auch wenn du nicht singst: Halte die Schauspiel-Energie für deine Kollegen aufrecht.
– Auch wenn du markierst: Sing die Zeilen, bevor der Chor kommt, sie brauchen dich!
Wenn du das Gefühl hast, dass du keine Stimme hast, weil dein Körper zu müde ist, kannst du:
– mit der Dirigentin/dem Dirigenten vor der Probe sprechen, damit sie/er das Orchester informieren kann. Es gibt nichts Schlimmeres für die Stimmung, als während der Probe zu erfahren, dass Sängerinnen und Sänger markieren (oder auch nicht…). Vielleicht kann der Dirigent oder einer der Korrepetitoren deinen Part singen, organisiere das frühzeitig!
– Markiere oder sprich deinen Part, gehe nach der Probe nach Hause und ruhe dich aus
Wenn du krank bist:
Halte dich bitte von deinen Kollegen fern! Mit einem Virus in eine Orchesterprobe zu kommen, ist nicht heldenhaft, sondern bedeutet für deine Kollegen, dass sie vielleicht auch krank werden!
DIE KLAVIER-HAUPTPROBE…
…ist gefährlich, weil sie so verlockend ist: Das Licht, das Make-up, das Kostüm und die „bequeme“ Begleitung durch den Pianisten können uns dazu verleiten, zu viel Spaß zu haben und voll auszusingen. Wir sollten uns vor Augen halten, dass diese Probe die Hauptprobe für die Technik, die Beleuchtung, das Make-up und die Kostümleute ist. Es reicht, wenn du einen Teil davon singst oder markierst (mit guter Energie) und zur richtigen Zeit am richtigen Platz auf der Bühne stehst.
DIE ORCHESTERHAUPTPROBE…
…ist die erste Probe, um herauszufinden, wie die Rolle mit dem Orchester passt, wenn die PAUSE dort ist, wo sie eigentlich sein sollte. Spar dir etwas Stimme für die Generalprobe und die Premiere – du kannst einige stressige Stellen markieren.
DIE GENERALPROBE…
…ist, obwohl offiziell als Probe bezeichnet, in vielen Häusern bereits mit vollem Publikum und ist die Probeaufführung, also markiere sie nicht, es sei denn, du singst Götterdämmerung-Brünnhilde mit nur einem freien Tag vor der Premiere.
DER FREIE TAG/DIE FREIEN TAGE…
…ist/sind zum Schweigen und Ausruhen!
DIE PREMIERE…
Halte durch – Premieren sind dazu da, sie mit Anstand zu überstehen, der Spaß ist für später!
Hier ist der link zum Artikel „Markieren oder Aussingen?“
Ich hoffe, das war hilfreich – bis bald,
Hedwig