The English version is here
„Und ist der Ruf erst ruiniert, so lebt es sich ganz ungeniert“, sprach der Kabarettist Werner Kroll 1945, und er wurde in der Folgezeit oft und gerne zitiert.
Dieses flapsige Bonmot mag lustig sein – auf unseren Job lässt es sich leider nicht anwenden: ist unser guter Ruf erst einmal angekratzt, so braucht man sehr lange, um ihn wieder aufzupäppeln.
Worauf fußt der gute Ruf einer Sängerin/eines Sängers?
Die professionelle technische Qualität vorausgesetzt, nährt sich der Ruf eines Künstlers/einer Künstlerin im Musiktheater/Konzertleben, so denke ich, aus drei Komponenten:
-
Dem Verhalten im Theater
-
Der guten Vorbereitung
-
Der guten, besonderen Performance
Schauen wir uns das genauer an:
Das Verhalten im Theater:
Wir sind alle Menschen und möchten gut behandelt werden. Das trifft für alle Stufen einer Theaterhierarchie zu. Es sollte selbstverständlich sein, die Kolleginnen und Kollegen von der Technik genauso freundlich zu behandeln wie das Gesangs- oder KBB-Kollegium, die Assistenten und Assistentinnen, Garderober und Garderobieren und Maskenbildner:innen oder die Mitarbeiter der Kantine oder des Hausdienstes. Menschen, die nur freundlich zu „wichtigen Leuten“ sind, werden genauso wahrgenommen, wie sie sind: nur freundlich zu wichtigen Menschen. Und warum sollte ich im Notfall jemandem rasch zu Hilfe eilen, der/die mich an „normalen“ Tagen nicht einmal grüßt? Wir sind ALLE verantwortlich für die Arbeitsatmosphäre des Opernhauses oder des Konzertengagements, in dem wir gerade arbeiten! Und wir alle können dazu beitragen, den Alltag von Menschen besser zu machen, indem wir grüßen, kurz fragen, wie es geht und unseren eventuellen privaten Frust dort lassen, wo er hingehört: zu Hause. Sobald wir das Theater betreten, agieren wir nicht mehr nur als Privatperson, sondern sind in unserer Funktion bei der Mitgestaltung unseres Arbeitsumfeldes tätig. Dazu gehört auch pünktlich zu sein. Kolleg:innen, die regelmäßig zu spät kommen (das Auto sprang nicht an, die Bahn fuhr nicht, der Wecker ging nicht los…), gehen einfach regelmäßig zu spät von zu Hause los. Wir sind immer Teil eines Ganzen, und wenn alle gut sind, hilft das der ganzen Produktion. Sich unterstützend den Kolleg:innen gegenüber zu verhalten und nicht über Abwesende zu tratschen (!) ist eine schöne Tugend.
Wenn jemand „schwierig“ ist, spricht sich das schnell herum und ist nicht Engagement-fördernd. Das heißt beileibe nicht, dass wir alles akzeptieren sollten und uns nicht auf Diskussionen mit Kolleg:innen oder der Regie/dem Dirigat einlassen dürften oder für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen, aber „der Ton macht die Musik“. Höflichkeit und der Wille, auch andere Standpunkte zu akzeptieren, gehören dazu.
Es gibt Situationen, bei denen das sehr schwerfällt – we have all been there – manchmal ist Herunterschlucken und einfach warten, bis ein unangenehmer Kollege, eine ungute Regie / ein nicht hilfreiches Dirigat vorbeigehen, die einzig mögliche Überlebensstrategie. Wenn aber jemand dich persönlich angreift, solltest du Grenzen setzen und klar und deutlich sagen „Ich möchte nicht, dass man in diesem Ton mit mir spricht!“ Zu wissen sich Respekt zu verschaffen, ist auch Teil des Jobs – und hilft dem guten Ruf.
Die gute Vorbereitung
Zur ersten Probe so zu erscheinen, wie es in unseren Verträgen steht (der Gast verpflichtet sich bereits zu Probenbeginn mit der musikalisch einstudierten Partie einzutreffen o.ä.), ist für die meisten eine Selbstverständlichkeit. Aber es gibt immer wieder Kolleginnen oder Kollegen, die, aus welchen Gründen auch immer, nicht gut oder kaum studiert zur ersten Probe erscheinen. Meistens müssen dies dann die sowieso schon überarbeiteten Kolleginnen und Kollegen der Repetition ausbaden und während der Proben zusätzliche Stunden Lebenszeit opfern, um das aufzufangen, was die singende Zunft zuhause hätte erarbeiten sollen. Schlechte Vorbereitung ist respektlos!
Was dagegen helfen kann, ist ein strenger Lernplan: sobald dir eine Partie angeboten wird, richte den Klavierauszug ein und mach dir eine Übersicht über das Stück und notiere, wie lang die einzelnen Teile in etwa sind. So kannst du abzuschätzen, über wieviel Monate (!) du deine Vorbereitung verteilen musst, nach und nach die Teile der Partie „abhaken“ und „gemütlich“ zur ersten Probe erscheinen. Nur du allein weißt, wie schnell oder langsam du lernst…
Am Beispiel Contessa könnte das so aussehen:
- Akt – Frei / Maske
- Akt –
- Porgi amor
- Veni, cara Susanna (mittel)
- Bravo, che bella voce (kurz)
- Quante buffonerie (mittel)
- Terzetto (high C!)
- Conte/Contessa (kurz)
- nach Duettino (kurz)
- Finale (lang!)
- Akt
- Garderobenzeit
- E Susanna non vien – Dove sono (Passaggio!)
- Rez mit Susanna (kurz)
- Duetto “Sull’aria” (Verwechslungsgefahr der Stimmen!) + Rez (kurz)
- nach Damenchor (mittel)
- Finale (zwei Sätze)
- Akt
- Garderobenzeit bis nach Figaro „Aprite“
- Rez (2 Sätze)
- (kurz) und Finale (lang, mit Duett Susanna/Figaro in der Mitte)
Wenn du alle deine Stücke einer Partie in Übersicht hast und frühzeitig anfängst zu lernen, bleibt im Kopf noch Platz für ein eventuelles Gastspiel oder einen Einspringer.
Beachte, dass du mit zunehmendem Alter weniger schnell lernst – konnte man früher eventuell von Mittag auf Abend etwas auswendig lernen, so geht das später einfach nicht mehr – das musste ich während Peter Eötvös’s „Der Goldene Drache“ in Frankfurt peinlich erfahren und habe mich während der Proben ab und zu geschämt, wenn etwas wiederholt werden musste, weil Frau Fassbender geschmissen hatte. Vor „Dialogues des Carmélites“ in Strasbourg hatte ich während der Vor-Produktion am selben Haus einen Bühnenunfall mit Rippenbruch, der mich vom guten Lernen abhielt. Folglich war ich nicht gut genug vorbereitet. Hätte ich früher angefangen mit Lernen, wäre das nicht passiert. That‘s life, aber gut angefühlt hat es sich wirklich nicht!
Einige Kolleg:innen sind mir wegen der beeindruckend guten Vorbereitung in bleibender Erinnerung. Sie erschienen zur ersten Probe nicht nur mit perfekt gelernten Noten, sondern mit einer authentischen Interpretation, waren später aber offen für Ideen:
Natalie Dessay als Olympia in Paris, Patricia Petibon als Soeur Constance in Strasbourg, Michael Nagy als Frank/Fritz in Frankfurt und Pavol Breslik als Quint in Zürich.
Es ist wohl kein Zufall, dass diese drei Sänger:innen besonders gute Karrieren hatten/haben…
Was im Kopf der Kolleg:innen (und im Flurfunk, dem KBB und schlussendlich bei der Direktion) hängenbleibt, sind die Freude oder der Frust mit jemandem zu arbeiten. Wer wegen mangelnder Vorbereitung Frust hervorruft, ist nicht gut für das Arbeitsklima am Haus und wird nicht gerne wieder engagiert, auch wenn die Vorstellungen danach ok laufen.
Die gute Performance
Jetzt kommt das, worauf wir seit 6 Wochen (oder mehr) hingeprobt haben: die Vorstellungen.
- Was ist das Besondere das du als Künstler, als Künstlerin hast?
- Womit erreichst du das Publikum?
- Sieht man dich, sobald du die Bühne betrittst?
- Hast du eine starke künstlerische Ausstrahlung?
- Ist vielleicht deine Stimme besonders schön, besonders zu Herzen gehend?
- Oder hast du besondere „Zirkusqualitäten“ mit hohen Tönen?
- Spielst du besonders authentisch?
- Kannst du Emotionen beim Publikum hervorrufen?
- Was ist deine besondere „Note“?
Ist dein künstlerisches Gesamtpaket interessant und einzigartig?
Hast du als Künstler, als Künstlerin einen Wiedererkennungswert?
Das alles bildest sich im Lauf einer Karriere heraus. Lass dir Zeit, aber such deine ganz spezielle Qualität, deine Nische!
Gut gesungene und gespielte Vorstellungen untermauern den Ruf, den wir uns während der Probenzeit erarbeitet hatten. Aber sie können natürlich nicht vergessen machen, wenn wegen bestimmter Personen die Probenatmosphäre gestört war oder dauernd gewartet werden musste, weil jemand seine Partie nicht konnte. Wenn zwei Sänger:innen gleich schön singen oder künstlerisch gleich interessant sind, wird die Person engagiert werden, die den besseren Ruf hat. So wie wir über Häuser sprechen, so sprechen Häuser miteinander und fragen nach, wie die Arbeit mit einem bestimmten Sänger oder einer bestimmten Sängerin war.
WIR SIND UNSEREM RUF NICHT AUSGELIEFERT – TUN WIR ETWAS DAFÜR!
Danke fürs Lesen und bis bald,
Hedwig