27. März 2021

KARRIERE

Davon träumen oder aktiv machen?

KARRIERE – ein Wort, das einen ganz schön verfolgen kann über viele Jahre.

  • Ist das schon Karriere oder fällt das unter Job?
  • Ab wann ist es Karriere?
  • Darf ich von Karriere sprechen, wenn ich noch nicht so viel gemacht habe wie XY?
  • Wenn ich fest an einem Theater bin und bleibe – ist das dann überhaupt Karriere?

Karriere wird, vor allem von jungen Sänger:innen, sehr oft im Zusammenhang mit dem Verb „träumen“ verwendet, so, als ob Karriere einfach geschehe – oder eben auch nicht. Und vor allen Dingen, als wenn Karriere etwas sei, zu dem man, außer üben, aktiv nichts beitragen könne.

Die gute Nachricht ist: doch, man kann!

Die weniger gute Nachricht: das braucht sehr viel Energie und Arbeit außerhalb der Beschäftigung mit der eigenen Stimme.

Ein kleiner etymologischer Ausflug: 

Karriere kommt ursprünglich von „Karre“ (!) Die Karre – der Weg für die Karre, dann als italienisch „carriera“, das sowohl „die Rennbahn“ als auch „die schnellste Gangart eines Pferdes“ bedeutete. Später über das Französische erhielt das Wort Carrière/Karriere die Bedeutung „gestreckter Galopp“.

Ein Leben im gestreckten Galopp –
Ist das dein Weg? Willst du das? Kannst du das?

Die große Karriere 

Unter der „großen“ Karriere verstehen wir landläufig die gut sichtbare, „laute“ Karriere, also große Partien an großen Häusern mit viel medialem Echo. Das sagt noch nicht unbedingt etwas über die Qualität der Sänger:innen aus. Es gibt an kleineren und mittleren Opernhäusern Sänger:innen, die fantastische Arbeit leisten und zufrieden sind mit dem, was sie dort zu tun haben. Auch das ist Karriere (!).

Wie beginnen? 

Ein Tenor mit goldenem Timbre, eine Sopranistin mit großartiger Höhe, ein tiefer Alt oder ein echter Bass müssen weniger „ackern“, um eine Karriere zu beginnen als die Fächer, deren Bezeichnung mit „lyrisch“ beginnt. Diese Stimm-Fächer sind selten und es ist verhältnismäßig einfach ein Vorsingen zu ergattern. Aber ob die Karriere dann hält, hängt entscheidend von der Persönlichkeit der jeweiligen Sänger:innen ab.

Es ist nicht BESSER, um die Welt zu jetten und an großen Häusern zu singen, als an einem kleinen oder mittleren Haus hochwertige Arbeit zu leisten, es ist nur ANDERS. Du musst herausfinden, was zu dir und deinem Lebensentwurf passt.

Die folgenden 3 Fragen (im Märchen gibt es immer drei Fragen, in Turandot 3 Rätsel;)

1. Was kannst du mit deinen momentanen stimmlichen Gegebenheiten erwarten?

2. Was möchtest du und, vor allem, was möchtest du nicht? 

3. Wieviel Kraft und Zeit bist du zu investieren bereit, damit sich deine Erwartungen erfüllen und du eine Karriere nicht nur beginnen, sondern auch HALTEN kannst? 

Los geht’s:

1. Was kannst du mit deinen momentanen stimmlichen Gegebenheiten erwarten?

Wenn Deine Stimme nicht ein gewisses Volumen, eine gewisse „Breite“ hat, um den „Ursound“ zu produzieren, den man in den größten/wichtigsten Häusern erwartet, dann hast Du zwei Möglichkeiten:

a. Du singst kleine Partien in größeren Häusern

b. Du singst größere Partien in mittleren und kleineren Häusern

2. Was möchtest du und, vor allem, was möchtest du nicht? 

Brauchst du die Herausforderung einer großen Partie, oder bist du glücklich mit mittleren/kleineren Rollen? Brauchst du einen festen Standort, oder bist du gerne „on the road“? Magst du Eigeninitiative, oder überlässt du Entscheidungen lieber anderen? Kannst du damit umgehen, deine Liebsten über Wochen nur per Videochat zu sehen oder brauchst du mehr realen Körperkontakt? Kannst du mit dauernd wechselndem Stress gut umgehen, oder brauchst du eher Beständigkeit?

Nochmal: eins ist nicht BESSER als das andere, es ist nur ANDERS.

Eine gute freischaffende Karriere im internationalen „Zirkus“ bedeutet:

    • Internationale Reisen in große Städte
    • Arbeit mit guten Orchestern
    • Arbeit mit guten Kollegen und bekannten Dirigent:innen/ Regisseur:innen
    • Wachsen an der Arbeit mit dem beruflichen Umfeld
    • Vielleicht Features in Fachzeitschriften

Die Karriere nicht nur zu beginnen, sondern auch zu halten, impliziert:

    • Deine Korrepetitionsstunden und den Sprachcoach frühzeitig selber zu organisieren und zu zahlen, damit du perfekt vorbereitet zur ersten Probe erscheinst.
    • Das Geld, das du verdienst, gut zu verwalten, damit auch fürs Alter welches übrig bleibt.
    • Viel zu reisen (=wenig daheim zu sein)
    • Mit immer neuen Kollegen und ihren Eigenarten umzugehen
    • Immer neues Publikum zu erobern
    • Unter Dauer-Beobachtung zu stehen
    • Einen schlechten Abend nicht verstecken zu können, sondern (wahrscheinlich) in irgendeinem Blatt/auf irgendeinem Blog darüber zu lesen
    • Nach der Vorstellung rasch heimzugehen – weil du wahrscheinlich übermorgen wieder singst
    • Nicht zu wissen, ob du nächstes/übernächstes Jahr noch genug Arbeit hast
    • Nicht zu wissen, wie lange deine Beziehung die Abwesenheiten aushält
    • Nicht zu wissen, was deine Kinder gerade von dir halten
    • Nach Hause zu kommen und sich ein paar Tage fremd zu fühlen, weil es auch ohne dich gut läuft und du ein bisschen „störst“
    • Das schlechte Gewissen weg zu sein immer abzuwägen gegen den Spaß am Singen und das Geld, welches du damit verdienst.

„Il segreto è DURARE!“
3. Wieviel Kraft und Zeit bist du zu investieren bereit, damit sich deine Erwartungen erfüllen und du eine Karriere nicht nur beginnen, sondern auch HALTEN kannst?
 

Das geht von der regelmäßigen Arbeit an der Technik, dem Feilen an Phrasen auch in Arien, die man schon hundertmal gesungen hat, über das Nachdenken über mögliche neue Rollen, den  regelmäßigen Kontakt mit der Agentur (oder dem regelmäßigen Verschicken von Bewerbungen), bis zur Aktualisierung der Website und irgendeine Form von Sichtbarkeit in den Social Media. Dazu weiter unten mehr.

Glück 

Ja, es gehört auch das Glück dazu, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. „Karriere-Menschen“ sind aber bereit, bei der nächsten Gelegenheit aktiv dazu beitragen, dass z.B. „wichtige“ Leute, also Entscheidungsträger, eine Vorstellung besuchen, davon wissen oder einen Ausschnitt davon digital zu sehen bekommen…

Die Agentur
(es gibt einen eigenen BLOG-Beitrag zu diesem Thema vom Februar 2020, da, wo noch alles nur normal schwierig war, remember?)

Der Anteil der Agentur an deiner Karriere ist wichtig, aber dieser Anteil funktioniert nur in aktiver Zusammenarbeit mit dir. Auch wenn du eine gute Agentur hast, kannst du dich leider nicht zurücklehnen und denken, nun sei alles geschafft. Hast du (noch) keine klare Vorstellung von deinem Weg, bitte deine Agentur um ein Gespräch und versucht gemeinsam zu klären, wohin die Reise gehen soll. Dein/e Agent:in MUSS wissen, was dir wichtig ist, nur so kann sie/er dich klug beraten. Im Übrigen kann auch die beste Agentur nicht immer alles erreichen, was sie möchte. Das fängt schon beim Vorsingen an: Es ist heute nicht einfach, einen Termin für ein Vorsingen zu bekommen, und auch das geht in der Regel nur, wenn die Agentur vorab ein Video schickt, das das Interesse am Künstler/an der Künstlerin weckt. Wobei wir beim fast wichtigsten Punkt wären:

GUTE VIDEO-AUFNAHMEN SIND SO WICHTIG WIE EINE STABILE GESANGSTECHNIK!

Keine Agentur kann ohne Aufnahmen arbeiten.

Es ist heutzutage kein Hexenwerk mehr, Aufnahmen herzustellen. Es reicht eine Kameraeinstellung, die Tonqualität muss gut sein und man sollte dich ganz sehen. Wenn jemand mit 2 verschiedenen Kameras filmen kann, ist es natürlich unterhaltsamer, aber wenn du das nicht hast, nimm eine Arie im Ganzkörpermodus auf und eine nur mit Gesicht. Outfit: so wie zum Vorsingen, keine Abendgarderobe!

Sprachen 

Es ist hilfreich die „Europa-Mischung“ verstehen und sprechen zu können, also englisch, italienisch/spanisch, französisch und deutsch; kyrillisch entziffern können ist ein Plus…

Soft Skills 

Sänger:innen, die wieder engagiert werden, waren bei den Proben:
– Perfekt vorbereitet
– Pünktlich
– Höflich
– Frisch gewaschen
– Sauber gekleidet
– Und hatten im Vorfeld auf Mails rasch geantwortet

Social Media 

Noch niemand hat ein Engagement bekommen, weil sie/er in den Social Media präsent ist. ABER wenn du noch im Aufbau begriffen bist und eine „laute“ Karriere anstrebst, solltest du wissen, dass auch manche Agenturen und Casting-Leute auf Social Media die eine oder andere Info mitnehmen, wenn du dort klug agierst und berufsrelevante Informationen einstellst.

Ich persönlich empfinde das Pflegen von Social Media als ziemlich lästig, aber wahrscheinlich würdest du das hier jetzt nicht lesen, wenn ich es nicht auf Instagram/Facebook eingestellt hätte, oder?

Zum guten Schluss: Deine Karriere ist deine (!) Karriere in deinem (!) Leben 

Deine Karriere muss für dich stimmig sein, egal wie groß, klein, mittel, frei oder fest andere sie finden. Du machst deine Karriere für dich, denn schon die nächste Sängergeneration wird höchstwahrscheinlich deinen Namen nicht mehr kennen. Also wäge gut ab, wieviel Opfer sie dir wert ist.

Wer für eine große Karriere geschaffen ist, sollte unbedingt alles dafür tun, dass es klappt. Wer eine große Karriere machen möchte, ohne selbst aktiv dazu beizutragen, muss wahrscheinlich weiter träumen.

Viel Freude beim Finden deines ganz persönlichen Karriere-Weges  – Du hast mehr Einfluss auf deine Karriere, als du denken magst, aber auch mehr Verantwortung, als dir vielleicht lieb  ist.

Alles Gute und bis bald,

Hedwig

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