11. August 2021

Body Shaming in der Oper

You want a Bikini-Body? - Put a Bikini on your Body! You want a Beach Body? – Take your Body to the Beach! Das sind nette Sprüche – die Realität in der Opernwelt sieht anders aus:

Im neu gegründeten Verband „kreaktiv-musiktheater stands up“ gibt es seit einigen Monaten eine Untergruppe „kreaktiv jeunesse“. Bei einem der ersten Treffen nach den drängendsten Themen befragt, war BODYSHAMING, vor allem FAT-SHAMING IN DER OPER eines der Themen, die jungen Sänger:innen am meisten beschäftigte, umtrieb und auch belastete:

  • Warum gibt es auf der Bühne fast nur noch „Einheitsgrößen“ im normalen Repertoire?
  • Warum haben Operndirektoren/Intendanten Bedenken einen fülligen Sänger/eine füllige Sängerin zu engagieren?
  • Warum ist es so schwer zu verstehen, dass eine „cremige“ Stimme sich in der Regel nur in einem „cremigen“ Körper wohlfühlen kann?

Oder – überspitzt formuliert:

  • Geht es in der Oper gar nicht mehr um Stimme?
  • Wollen Regisseure nur noch mit schlanken Menschen arbeiten?

In allen Statistiken ist zu lesen, dass die Gesellschaft prozentual immer umfänglicher wird, d.h. es gibt auch unter den unter 40jährigen immer mehr übergewichtige Menschen in unserer Gesellschaft. Was sehen wir auf der Musiktheaterbühne in Werken von Mozart, Donizetti und Rossini (den Komponisten, in deren junge Sänger:innen häufig besetzt werden)? Lauter Frauen mit höchstens Kleidergröße 38/40 und Männer bis Größe 48/50.

Irgendwas läuft hier gewaltig schief!

Das zeitgenössische Musiktheater legt großen Wert darauf, die Zustände der heutigen Gesellschaft abzubilden und auch in den historischen Stoffen eine Querverbindung zu heute zu suchen, damit uns auch die historischen Stoffe aus der heutigen Sicht berühren. Viele Regisseure schaffen das in bewundernswerter Weise. Was wir aber im internationalen Opernzirkus kaum sehen, ist eine Besetzung, die repräsentativ die Körper unserer Gesellschaft abbildet. Ist das Teil des heutigen Elfenbeinturms, den man der Oper vorwirft?

Warum muss Despina dünn sein?

Warum muss Susanna in Größe 38 passen?

Warum darf eine Gräfin nicht ein paar Kilo mehr auf den Rippen haben?

Wer bestimmt, dass Ferrando aussehen muss wie ein Model??

„Geht“ Carmen nur ab Körbchengröße C?

Warum kann ein Cherubino nicht sehr groß sein – unter den 16jährigen heute gibt es viele über 180….

Und Dorabella und Fiordiligi dürfen keine Speckröllchen haben?

Warum soll eine runde Person nicht sexy sein?

Warum werden fülligere Sänger:innen nur in komischen Rollen besetzt??

Welche altbackenen Klischées schlagen da zu?

(Photo: Canva)

Wahrscheinlich ist es einfacher ein Kostüm für einen Kleiderbügel zu entwerfen als damit einen großen Busen oder einen Bauch zu umhüllen – aber gerade darin liegt ja eine der Herausforderungen. Gute Kostümbildner:innen schaffen das!

Netflix ist hier weiter: in „Modern Family“ zum Beispiel ist einer der Sympathieträger der übergewichtige Junge, das Serienformat achtet überhaupt auf eine Wiedergabe der Gesellschaft in ihrer gesamten Diversität.

Nicht so die Oper…

Fast alle der jungen Sänger:innen der Opernstudios, mit denen ich arbeite, treiben regelmäßig Sport, weil bei allen angekommen ist, dass moderne Regiearbeiten auch körperlich herausfordernd sein können. Aber alle, die ein wenig runder sind, haben einen Riesenstress körperlich nicht zu genügen, was sich auf ihre Psyche auswirkt und sie daran hindert auch stimmlich ihr Bestes zu geben.

DIE OPERNBÜHNE IST KEIN LAUFSTEG!

Singen ist ein ganzkörperlicher Vorgang, vergleichbar mit Leistungssport – schnelles Abnehmen kann der Stimme sehr schaden. Mahlzeiten-technisch ist der Sängerberuf nicht gerade einfach: Vor einer Vorstellung gut zu essen belastet den Magen, macht müde und nimmt die Konzentration. Nach der Vorstellung ist es eigentlich zu spät. Aber irgendwann muss man was essen und nach einer Vorstellung ist nichts besser als eine Portion Pommes oder Spaghetti (wenigstens ging mir das so). Singen ist stressig und Essen ist tröstlich – so einfach ist das! Es ist ein dauernder Kampf und er ist wirklich nicht einfach zu gewinnen. Es gibt, vor allem später im schwereren Fach, etwas wie ein „Mindestgewicht“, das man braucht, um die vielen, hohen, langen, lauten Töne zu bewältigen. Einzig meine Eitelkeit hat mich daran gehindert, über die Maßen zuzunehmen und auch der Endproben-Stress – während dieser Zeit habe ich immer zuverlässig 2-3 kg abgenommen. Aber es gibt auch Menschen, die aus Stress mehr statt weniger essen!

Meine Erfahrung als Mitarbeiterin einer Agentur:
Es kommt öfter vor, dass Regisseure schon VOR dem Vorsingen einen bestimmten Körpertyp vorgeben und sich Theater dem beugen. Die Rückmeldung an die Agentur heißt dann sinngemäß: „Puh, der/die singt ja schön und hat auch Ausdruck und Präsenz, aber bei dem Gewicht springt mir der Regisseur an die Gurgel“ oder „Dem Kostümbildner ist es wichtig, dass die Jacke schön fällt, und das ist dann schwierig“. Oder: „Die ist zu groß – der ist zu klein!“ Dann versucht man Überzeugungsarbeit zu leisten, sagt den Sänger:innen nichts davon, um sie nicht zu traumatisieren und manchmal schafft man eine Umstimmung, oft aber auch nicht.

Und dabei sind es nicht nur die berüchtigten alten weißen Männer, die vor allem bei den Besetzungen der jüngeren Frauenrollen unbedingt schlanke Sängerinnen haben wollen. Die jungen Entscheidungsträger sind kein bisschen flexibler in ihrem Körperbild – eher im Gegenteil. Es ist viel Unreflektiertes dabei im Spiel, vor allem aber das Klischée in den Köpfen der Entscheider, dass schlank gleich schön gleich begehrenswert sei. Instagram ist hier auch nicht wirklich hilfreich!

Ich persönlich finde es schon seit vielen Jahren langweilig, nur Schlanke in Mozart-Opern zu sehen. Die Gattung Mensch existiert in vielen verschiedenen Formen und Farben, und es wäre wünschenswert, das auch auf den heutigen Opernbühnen widergespiegelt zu sehen!

Die schon länger dabei sind, erinnern sich an den Shitstorm, der 2014 losging, als ein paar (dumme) Journalisten schrieben, dass die wunderbare Tara Erraught zu dick wäre für Octavian. Sie ist kein Strich in der Landschaft, aber beileibe nicht dick, nur etwas füllig, so wie das junge Männer eben auch manchmal sind, und sie singt göttlich!

https://www.zeit.de/2014/23/sexismus-opernsaengerin-tara-erraught-gewicht

Über meine Premiere als Cherubino an der Wiener Volksoper 1989 schrieb der Kritiker einer großen Wiener Zeitung, ich habe nicht die Stimme und schon gar nicht die Statur für Cherubino. Damals lag mein BMI bei 22 und ich fiel aus allen Wolken – Heute passt die Presse besser auf mit dem, was sie schreibt, aber das heißt nicht, dass das Body-Bashing bei Opernsängern und vor allem bei Opernsängerinnen nicht weiterginge. Schade! Und unnötig! Ich bin davon überzeugt, dass es bei vielen Zuschauern eine tiefe Zufriedenheit auslösen würde, wenn „da oben“ auch Figuren stünden, mit denen sich auch Menschen mit einem BMI über 25 körperlich identifizieren können.

Im Gegensatz dazu ist in den Köpfen der Menschen, die nicht in die Oper gehen, immer noch verhaftet, Opernsänger seien alle dick – verkehrte Welt!

Mein Wunsch an die Theaterleiter:innen / Regisseur:innen (und Kostümbildner:innen):
Habt den Mut die Gesellschaft so vielfältig abzubilden, wie sie ist und besetzt füllige Menschen auch für die Rollen der Liebespaare und nicht wegen ihrer Leibesfülle automatisch ausschließlich in „komischen“ Rollen – oder gleich gar nicht!
Macht eure Köpfe auf und bildet die heutige Gesellschaft ab! Es gibt Dicke, Dünne, Große, Kleine; lasst alle ‚ran, die gut singen und spielen in ihrem Fach und trefft die Auswahl nicht nach Heidi-Klum-Kriterien. Wir sind in der Oper und nicht bei „Germany’s next Top-Model“!

Mein Rat an junge Sänger:innen:
Schaut der heutigen Realität ins Auge (Veränderungen im System dauern bekanntlich!), treibt Sport und seid schlauer als das System, das heißt: zieht Euch beim Vorsingen geschickt an, dazu gehört auch gute (!) Unterwäsche. Es gibt durchaus welche, die uns in Form hält, ohne uns die Luft abzuschnüren.

„Strecken“ tun:

V-Ausschnitte

Längsstreifen (wenn denn Streifen schon sein müssen!), besser noch dunkel und einfarbig

Pumps OHNE das Halte-Riemchen am Knöchel

Hochgesteckte Haare

Sobald man übrigens im sogenannten „schweren Fach“ angekommen ist, d.h. die großen Wagner-, Strauss und Verdi-Partien bewältigen kann, dann ist auch die Leibesfülle – Oh Wunder – plötzlich kaum mehr ein Thema: es gibt weniger Sänger:innen, die diese Partien bewältigen können, und schon weitet sich die Toleranz der Regisseure und Regisseurinnen/Kostümbildner:innen und damit auch die der Theaterleiter:innen.

Wir dürfen nicht aufhören, auch auf der Opernbühne für Toleranz und Vielfalt zu kämpfen,

In diesem Sinne!

Bis bald,

Hedwig

PS: Mich erreichten einige Kommentare, dass es auch für sehr schlanke Sänger:innen manchmal schwierig ist, weil die Entscheider:innen ihnen beim Vorsingen die Weiblichkeit nicht abkaufen. Das ist auch nicht gut, aber beim Vorsingen weiblichere Kleidung zu wählen und Push-up-BHs zu tragen ist als schnellere Lösung eher machbar als sich, im wahrsten Sinne des Wortes, dünn zu machen. Wie gesagt: solange das Umdenken noch nicht stattgefunden hat, müssen wir zweigleisig fahren: uns weiter für BODY-POSITIVITY einsetzen und parallel das System ein wenig überlisten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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hedwig fassbender
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